Ansprache des Botschafters der Russischen Föderation in Deutschland Vladimir V.Kotenev an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, 11. November 2009
Russisch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Gelegenheit, heute vor Ihnen über die russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu sprechen. Ich denke, dass ein offenes Gespräch über dieses Thema, über die Rolle Russlands und Deutschlands in der modernen Welt für alle Anwesenden interessant sein wird.
In den mittlerweile 5 Jahren auf meinem Botschafterposten in Deutschland hatte ich ausreichend Gelegenheit, mit recht verschiedenen Vertretern der deutschen Gesellschaft zu reden. Bei mir hat sich der Eindruck gefestigt, dass die Mehrzahl von diesen Menschen bestrebt ist, Probleme und Interessen Russlands zu verstehen, den Einblick in dessen Zukunft zu gewinnen. Dass sie aufrichtig daran interessiert sind, am Ausbau der gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit mitzuwirken.
Die heutigen russisch-deutschen Beziehungen sind von den positiven Erfahrungen unserer beinahe ein Jahrtausend langen gemeinsamen Historie geprägt. Es sind die Beziehungen des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens. Sie sind von der Offenheit und dem gegenseitigen Respekt geprägt. Sie beruhen auf dem verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte und sind zugleich der Zukunft zugewandt.
Den Ton und den Takt im Verhältnis zwischen unseren Ländern geben die regelmäßigen Gipfelgespräche an. Die jüngsten liegen weniger als zwei Tage zurück: Präsident Medwedew war Gast bei den Feierlichkeiten anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Mauerfalls in Berlin.
Viele Mechanismen unserer Zusammenarbeit sind wirklich einmalig. Zum Beispiel, die zwischenstaatlichen Konsultationen, an denen neben dem russischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin die Regierungen beider Länder fast vollzählig teilnehmen. Die letzte, 10. Runde dieser Konsultationen fand im Juli in München statt. Oder die strategische Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen, die bereits vielen bilateralen Vorhaben Anstoß gegeben hat.
Deutschland ist seit Jahrzehnten unser Wirtschaftspartner Nr. 1 weltweit. In den letzten Jahren wuchs der bilaterale Handelsumsatz meist zweistellig. Auch 2008, obwohl in der 2. Jahreshälfte die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise schon zu spüren waren, erreichte er mit 68,3 Mrd. Euro einen neuen Rekordwert. Dabei waren die Zuwachsraten mit 23,5% höher als im Wirtschaftsaustausch mit anderen bedeutenden Partnern Deutschlands, einschließlich solch dynamischer Volkswirtschaften wie China. Bei den Exporten nach Deutschland lag Russland auf Platz 12, bei den Importen aus Deutschland gar auf Platz 8.
Leider ist die Krise an unserer wirtschaftlichen Kooperation dann doch nicht vorbeigegangen. Nach Angaben der russischen Zollbehörden sank das bilaterale Handelsvolumen im 1. Halbjahr beinahe um die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr. Der Grund dafür waren nicht nur rückläufige Preise für Energieträger, die nach wie vor Russlands wichtigster Exportartikel sind, sondern auch die rückgängigen Lieferungen von Maschinen und Anlagen aus der Bundesrepublik. In diesem Segment, auf das 45% unserer gesamten Importe aus Deutschland entfallen, sanken die Einfuhren wertmäßig um 54%.
In Stückzahlen gemessen, gingen z.B. die Importe von Pkw um 75% und von Lkw um 85% zurück. Die sinkenden Importe von Fertigwaren sind aber nicht unbedingt ein Grund zur Panik, sondern, auch wenn es paradox klingen mag, oft eine Indiz für eine tiefere wirtschaftliche Integration: was im vergangenen Jahr noch importiert werden musste, wird heute vor Ort produziert. So ist z.B. der Rückgang der Pkw-Importe auch dadurch bedingt, dass zur Zeit schon 18 Modelle deutscher Automarken in Russland vom Band laufen, während es 2008 noch 8 waren.
Einer der wichtigsten, strategischen Bereiche der russisch-deutschen Kooperation bleibt die Energiewirtschaft. Auch wenn unser Land seit 40 Jahren Gas nach Deutschland liefert und heute auch 34% des deutschen Bedarfs an Rohöl deckt, beschränkt sich hier die Kooperation bei weitem nicht auf Liefergeschäfte. Wir arbeiten gemeinsam an Infrastrukturprojekten, die für die Energiesicherheit Deutschlands und der EU von entscheidender Bedeutung sind.
Gerade die deutschen E.oN Ruhrgas und Wintershall waren die ersten ausländischen Unternehmen, denen das Recht eingeräumt wurde, sich an der Erschließung der russischen Erdgasvorkommen zu beteiligen. Ende vergangenen Jahres begann die Erdgasförderung auf dem Achim-Gasfeld im sibirischen Nowyj Urengoj. Dieses Vorhaben wird gemeinsam von der deutschen Wintershall AG und dem russischen Gasprom-Konzern umgesetzt. Vor kurzem hat E.oN einen Vertrag mit Gasprom über den Austausch von Aktiva unterzeichnet und wurde damit zum Gesellschafter des Betreiberkonsortiums des größten Erdgasfeldes Jushno-Russkoje in Westsibirien, an dem BASF ebenfalls beteiligt ist.
Es werden neue Gaspipelines – die Ostseepipeline (North Stream) und South Stream – gebaut. Sie werden das einheitliche Gasversorgungssystem und die größten Erdgasvorkommen Russlands direkt, ohne Zwischenhändler, mit den europäischen Verbrauchern verbinden.
Der Bau von diesen Versorgungsrouten ist aus mindestens zwei Gründen wichtig. Erstens erhöhen sie die Transportkapazität, was angesichts der steigenden Nachfrage in Europa unerlässlich ist. Zweitens garantieren sie zusätzlich die Versorgungssicherheit. Ich möchte betonen: North Stream und South Stream sind keine bilateralen, sondern gesamteuropäische Vorhaben. Sie sind gegen keine Drittländer gerichtet, sondern schlicht dazu da, der Energiesicherheit vom gesamten Europa zu dienen. Eine umfangreiche gemeinsame Arbeit liegt noch vor uns. Aber, was zum Beispiel die Ostseepipeline anbelangt, ist das Wichtigste schon getan worden. Erstens sind die Befürchtungen der Öko-Aktivisten und damit auch der Öffentlichkeit, die sich in Europa für die Fragen der Umwelt zunehmend sensibilisiert, zerstreuet worden. Zweitens hat man die Baugenehmigungen der skandinavischen Länder bekommen, durch deren Sonderwirtschaftszonen die Pipeline gezogen wird.
Trotz der Krise entwickelt sich auch die Zusammenarbeit „jenseits von Öl und Gas“ weiter. Das Interesse der deutschen Unternehmen an der Umsetzung von langfristigen Projekten in Russland ist immer noch da. Vor kurzem begann das Volkswagen-Werk in Kaluga die Autoproduktion im CKD-Modus (aus komplett zerlegten Bausätzen). Nach Expertenschätzungen hat VW beste Chancen, im nächsten Jahr zum zweitgrößten Pkw-Hersteller in Russland zu werden. Derzeit wird in der Regierung darüber beraten, ob VW-Fabrik in Kaluga als erstes ausländisches Autowerk in die Liste der „systemrelevanten Betriebe“ in Russland aufgenommen wird.
Daimler AG hat die Gründung eines Joint Ventures mit dem russischen KamAZ angekündigt, dass Lastwagen montieren wird. Auch Daimlers Wettbewerber MAN hat ähnliche Pläne. Der Handelskonzern Metro hat im Oktober sein 50. Warenhaus in Russland eröffnet. Siemens beabsichtigt, im Gebiet Woronesch eine moderne Transformator-Fabrik zu bauen.
Es sind nur einige wenige Beispiele dafür, dass das Leben auch in den Krisenzeiten weitergeht. Kennzeichnend war das Treffen des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin mit deutschen Top-Unternehmern am 21. Oktober in Moskau. Fast alle Teilnehmer des Gesprächs, darunter die Chefs von Thyssen Krupp, Siemens, Metro, Daimler, Deutsche Bahn, haben angekündigt, ihre Aktivitäten in Russland auszubauen.
Die wirtschaftliche Stabilität in Russland in den letzten Jahren, die Vervollkommnung der Gesetzgebung, die transparenteren Bedingungen für ausländische Unternehmen hatten auch die zunehmende Attraktivität Russlands als Investitionsstandorts zur Folge. Seit 2001 hat sich die Zahl der deutschen Firmen, die auf dem russischen Markt aktiv sind, verdoppelt und beträgt jetzt nach inoffiziellen Schätzungen 6 Tausend. Die meisten von ihnen haben sich als gewissenhafte und zuverlässige Partner erwiesen.
Auch die Geografie der Aktivitäten der deutschen Unternehmen weitet sich aus. Nun sind sie in 2 Drittel der 83 russische Regionen präsent. Es handelt sich dabei nicht nur um Großkonzerne. Auch der deutsche Mittelstand ist dabei, bei uns Fuß zu fassen. Die aktivsten Mittelständler arbeiten eng mit der im Dezember 2007 gegründeten Russisch-Deutschen Handelskammer zusammen.
Das Potential der russisch-deutschen Wirtschaftskooperation ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Die marktwirtschaftliche Transformation führt zu einer tieferen Integration unseres Landes in die Weltwirtschaft. Russland wird offener für internationale Unternehmen. Diese beiden Tendenzen stellen russische Firmen, Regionen ganze Industriezweige, und die russische Wirtschaft im Allgemeinen vor eine neue Herausforderung. Um sich zu behaupten, muss die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden. Daher zählen wir zu den vorrangigen Aufgaben die Kooperation mit Deutschland gerade in forschungsintensiven Wirtschaftszweigen.
Hier eröffnen sich gerade für die deutschen Unternehmen, die im Maschinenbau, Elektrotechnik und vielen anderen Branchen technologisch Weltspitze sind, ungeahnte Perspektiven. In diesen Wirtschaftszweigen, genau wie in der Energiewirtschaft und im Wohnungswesen liegt ein gewaltiges Potential für die Erhöhung der Energieeffizienz – eine Disziplin, wo die Deutschen ebenfalls Vorreiter sind. Wir sind an der deutschen Erfahrung und der deutschen Technologie in diesem Bereich außerordentlich interessiert. Einen starken Impuls erwarten wir hier von der Russisch-Deutschen Energieagentur (RUDEA).
Sehr zukunftsweisend ist aus unserer Sicht die Kooperation bei der Forschung und Entwicklung. Da unsere beiden Länder mit Nobelpreisträgern nicht geizen, könnten wir uns gemeinsam zu bahnbrechenden Lösungen auf vielen Gebieten durchringen.
Wichtig ist auch die Kooperation bei der beruflichen Weiterbildung.
Besonders möchte ich die Partnerschaften zwischen den russischen und den deutschen Regionen hervorheben. Die interregionalen Kooperationen, die zwischen fast allen Bundesländern und mehr als 30 russischen Regionen bestehen, gehören seit jeher zu den Eckpfeilern der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Es ist erfreulich, dass Brandenburg hier ganz vorne mitspielt. Besonders dynamisch entwickeln sich die Beziehungen mit dem Moskauer Gebiet. Die Voraussetzungen für deren weiteren Ausbau sind gegeben. In Ihrer Regionen sind Branchen präsent, die für den technologischen Fortschritt stehen: regenerative Energie, Maschinenbau, Umwelttechnologien, IT-Betriebe und vieles mehr.
Meine Damen und Herren,
in den russisch-deutschen Beziehungen ist bereits viel getan worden. Aber es gibt noch nicht weniger zu tun. Gerade in den Krisenzeiten, wo Länder von der Rezession bedroht und Unternehmen mit der schlechten Konjunktur konfrontiert sind, ist es besonders wichtig, die gegenseitig vorteilhafte Kooperation auf allen Ebenen zu entwickeln. Wenn wir diese Aufgabe bewältigen, werden wir aus der Krise gestärkt hervorgehen.
16.11.2009